Forschung am ZEL

Nachuntersuchung ehemaliger Late Talkers im Jugendalter

Am 01. Juli 2016 startete am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg gemeinsam mit dem Zentrum für Entwicklung und Lernen in Heidelberg (Dr. Anke Buschmann) und der Günter Reimann-Dubbers Stiftung ein Projekt zur Untersuchung der langzeitlichen Entwicklung von Kindern mit einer verzögerten Sprachentwicklung (sog. Late Talkers). In Kooperation mit niedergelassenen Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin der Rhein-Neckar-Region wurde 2003 eine Stichprobe von zweijährigen sprachentwicklungsverzögerten Kindern und eine Vergleichsgruppe von sprachunauffälligen Kindern rekrutiert und im Rahmen einer Längsschnittstudie zu mehreren Messzeitpunkten untersucht. Schwerpunkt der Längsschnittstudie war es, betroffene Kinder frühzeitig zu identifizieren und das „Heidelberger Elterntrainings zur frühen Sprachförderung HET“ (Buschmann) auf Effektivität zu prüfen. (Weitere Informationen zum Heidelberger Elterntraining finden Sie unter www.heidelberger-elterntraining.eu).

Schon die Eingangsdiagnostik brachte erstaunliche Ergebnisse hervor. Von den 100 Kindern, welche mit dem Verdacht auf eine isolierte Verzögerung in der Sprache zugewiesen worden waren, wiesen 18% eine globale Entwicklungsstörung auf und 4% erfüllten die Kriterien einer Autismus-Spektrum-Störung. Dies konnte durch eine ausführliche differenzialdiagnostische Untersuchung gezeigt werden. Die Autor*innen schlagen einen pragmatischen diagnostischen Weg bei Verdacht auf eine verzögerte Sprachentwicklung vor (Buschmann et al., 2008, 2009).

Nach erfolgter Eingangsdiagnostik wurden die Kinder mit isolierter Sprachverzögerung (Late Talkers) randomisiert der HET-Gruppe oder der Kontrollgruppe zugewiesen. Die Mütter der Kinder haben zwischen dem 24. und 29. Lebensmonat der Kinder am HET teilgenommen. Das HET ist ein Interaktionstraining, in welchem die Eltern gezielt und systematisch in mehreren zweistündigen Gruppensitzungen zu einem sprachförderndem Umgang mit ihrem Kind angeleitet werden. Diese elternzentrierte Kurzzeitintervention ist sehr effektiv. Von den Late Talkers, die nur in der expressiven Sprache beeinträchtigt waren, hatten 75% aus der HET-Gruppe den Rückstand bis zum dritten Geburtstag aufgeholt versus 44% Spontanaufholer in der Kontrollgruppe (Buschmann et al., 2009). In einer weiteren Nachuntersuchung im Alter von 4;3 Jahren zeigte sich ein ähnliches Bild (Buschmann et al., 2015). Die Teilnahme am HET ist ein Prädiktor für ein Aufholen bis zum dritten Geburtstag (Buschmann & Neubauer, 2012).

Ziel der aktuellen Nachuntersuchung am Ende der 9. Klasse ist es herauszufinden, wie sich die ehemaligen Late Talkers im Vergleich zur sprachlich altersgerecht entwickelten Gruppe bis ins Jugendalter hinein entwickelt haben. Im Fokus stehen sprachliche und schriftsprachliche Fähigkeiten sowie die Schullaufbahn. Des Weiteren wird die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder erfasst. Ein weiteres Ziel des Projekts ist es, den allgemeinen Entwicklungsverlauf der Kinder längsschnittlich abzubilden und so Hinweise auf Prädiktoren für günstige oder ungünstige Verläufe zu gewinnen. Dieses Wissen ist von besonderer Bedeutung, um zukünftig fundierte Entscheidungen über den Einsatz von Präventions- oder Fördermaßnahmen treffen zu können. Da derartige Längsschnittstudien zum Verlauf von Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerungen bis ins Jugendalter hinein im deutschsprachigen Raum bisher nicht existieren, wird das Projekt einen wichtigen Beitrag leisten, um Aussagen über die Entwicklung von Late Talkers treffen zu können.

Koordinatorin: Dr. Anke Buschmann

Projektzeitraum: 2016-2020

Projektförderung: Günter Reimann-Dubbers Stiftung

Bisherige Veröffentlichungen aus der Heidelberger Late Talker Längsschnittstudie:

Buschmann, A., Jooss, B., Rupp, A., Dockter, S., Blaschtikowitz, H., Heggen, I. & Pietz, J. (2008). Children with developmental language delay at 24 months of age: results of a diagnostic work-up. Developmental Medicine & Child Neurology, 50, 223–229. (hier herunterladen)

Buschmann, A., Jooss, B., Pietz, J. (2009). Frühe Sprachförderung bei Late Talkers - Effektivität einer strukturierten Elternanleitung. Kinderärztliche Praxis, 80, 404-414. (hier herunterladen)

Buschmann, A., Jooss, B. & Pietz, J. (2009).Verzögerte Sprachentwicklung bei der U7 - (K)ein Grund zur Sorge?. Der Kinder- und Jugendarzt, 6, 375-379.

Buschmann, A., Jooss, B., Rupp, A., Feldhusen, F., Pietz, J. & Philippi, H. (2009). Parent-based language intervention for two-year-old children with specific expressive language delay: A randomised controlled trial. Archives of Disease in Childhood, 94, 110-116. (hier herunterladen)

Buschmann, A. (2011).Was tun bei verzögerter Sprachentwicklung? Das "Heidelberger Elterntraining" - ein effektiver Ansatz. In: Hellbrügge, T. & Schneeweiß, B. (Hrsg.), Frühe Störungen behandeln - Elternkompetenz stärken. Grundlagen der Frührehabilitation. Stuttgart: Klett-Cotta

Buschmann, A. & Neubauer, M. (2012). Prädiktoren für den Entwicklungsverlauf spät sprechender Kinder. Sprache-Stimme-Gehör, 35, 135 - 141. (hier herunterladen)

Buschmann, A. (2012). Frühe Sprachförderung bei Late Talkers. Effektivität des Heidelberger Elterntrainings bei rezeptiv-expressiver Sprachentwicklungsverzögerung. Pädiatrische Praxis, 78, 377-389. (hier herunterladen)

Buschmann, A. & Ritter, E. (2013). „Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung“ in der Praxis. Wie zufrieden sind die Eltern?. Sprache-Stimme-Gehör, 37, 24 - 29.

Buschmann, A., Multhauf, B., Hasselhorn, M. & Pietz, J. (2015). Long-term effects of an early parent-based intervention for late talking toddlers. Journal of Early Intervention, 3, 175-189.